(English translation below)
Während der vergangenen Corona-Monate sammelte sich bei unserem Autor eine stattliche Anzahl Sexting-Partner an. Zwischen allen Schwanzbildern und Stöhn-Videos entstand eine unerwartete Diskussion über Rassismus und Tradition. Die Ausdauer war erstaunlich, der Höhepunkt dringend benötigt.
Dates können recht gut laufen. Man entdeckt Vorlieben für Filme einer speziellen Regisseurin, den Anbau fernöstlicher Gewürze oder eine noch wenig verbreitete synthetische Droge. Kommt aber die politische Positionierung ins Spiel, droht alles sehr zügig den Bach runterzugehen. Mit herablassenden Bemerkungen über Sozialhilfeempfänger:innen oder gar blankem Rassismus brachten schon einige Dates mein Feuer rasch zum Erlöschen.
Geht es aber nur um Sex, darf man bei der Moral eines oder gar beide Augen zudrücken? Weil ich mich in den vergangenen zwölf Monaten keiner Coronagefahr aussetzen wollte, suchte ich vermehrt Befriedigung online. Was vor der Pandemie unverbindlicher Sex mit Fremden war, wurde zu unverbindlichem Cybersex mit Fremden. Mit einer Handvoll ebendieser entstand so etwas wie Freundschaft. Man gratuliert sich zum Geburtstag und erkundigt sich nach Beziehungsproblemen. Dass sich der Austausch nicht nur auf Schwanzbilder, Stöhn-Sprachnachrichten und detailliere Handlungsaufforderungen beschränkt, macht die Sache irgendwie menschlich und warm. Etwas, das bei realen Sexdates sonntagmorgens um vier Uhr nur selten vorkommt.
Gefahr droht aber, wenn es über die Nettigkeiten des Alltags hinausgeht: Dies zeigte sich, als Schweizer Medien irgendwann die Debatte zur Benennung des Schokokusses aus der Schublade holten. Ein Aargauer Süssigkeiten-Produzent wollte öffentlichkeitswirksam nicht auf einen veralteten und rassistischen Namen verzichten. Als lapidare Begründung mussten Tradition und Gewohnheit herhalten.
Kommentarlos sandte mir einer meiner liebsten Sexting-Partner, nennen wir ihn Bruno Basic, daraufhin das Foto einer 50er-Packung Schaumküsse. Scherzhaft kommentierte ich, dass es sich glücklicherweise nicht um die fragwürdige Aargauer Marke handle. In der Hoffnung auf ein hochauflösendes Foto seines erigierten Glieds, das einen Schokokuss balanciert, drückte ich «send».
Wie soll es schon weitergegangen sein? Natürlich war er ein Riesenfan der Marke, konnte nicht nachvollziehen, dass man auf einen solch traditionsreichen und identitätsstiftenden Begriff verzichten sollte und war sogar bestrebt, mit dem Auto zum Hauptsitz zu fahren, um dort grössere Mengen der Süssspeise zu kaufen.
Ich entschloss mich, für Bruno Basic zu kämpfen
Ähnlich verliefen jeweils Gespräche beim Sonntagskaffee mit meinen fremdenfeindlichen Verwandten - ein Ambiente, das noch nie eine steinharte Erektion zur Folge hatte. Ich war besorgt. Die Aussicht darauf, dass Bruno Basic und ich uns nie wieder sexuelle Befriedigung verschaffen könnten, schlug mir auf die Stimmung. Denn die Zeiten, in denen ich für Sex all meine Prinzipien über Bord warf, hatte ich mit meinen Zwanzigern hinter mir gelassen, so glaubte ich. Weil ich jedoch wusste, dass guter Cybersex schwierig zu finden ist, entschloss ich mich zu kämpfen.
Ich sandte Bruno Basic eine artikulierte Nachricht und erkundigte mich nach den Beweggründen für seine Haltung. Ich fragte, ob er denn ein Eclair namens «Schwuchtel» beim Bäcker kaufen wollen würde und hängte dieser Nachricht ein Foto meiner, sagen wir, 45-Prozent-Erektion an. Ob er auf Argumente, die den Seinigen derart widersprechen, üblicherweise antwortet, weiss ich nicht. Ich vermute aber, dass die Aussicht darauf, meinen Schwanz aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen, ihn zu einer Antwort bewog.
Erzürnt (und erregt) schoss ich zurück
Bruno Basic meinte, dass der rassistische Begriff veraltet sei. BIPOC (natürlich nannte er sie nicht so) von heute würden ihn ohnehin nicht verstehen, rechtfertigte er sich. Zudem gehöre das Wort halt zu unserem kulturellen Erbe. Seine Haltung nervte mich. Doch siehe da: Es folgte ein Foto von seinem Schwanz in seiner beinahe unübertroffenen Perfektion.
Sein Glied entschärfte die Nachricht, auf die ich unter normalen Umständen nicht eingegangen wäre. Erzürnt (und erregt) schoss ich zurück. Besagtes Wort – ungeachtet dessen, ob es noch im täglichen Sprachgebrauch zu finden ist - sei rassistisch und habe nichts mit Süssspeisen zu tun. Bestehe sein Verständnis von Kulturgut zudem aus der Verwendung von rassistischen Begrifflichkeiten, sei das ein Armutszeugnis, warf ich ein. Ein Video, auf dem ich mit meinen Eiern spielte, garnierte das Ganze.
Egal ob Links oder Rechts: Politische Haltungen lassen sich kaum ändern. Man hört sich vielleicht gegenseitig zu, doch feste Überzeugungen halten guten Argumenten problemlos stand. Doch könnten mein Sexting-Buddy und ich mit dem Einsatz unserer Genitalien einen Weg gefunden haben, politische Lager zu einen?
Wir gingen in den folgenden Nachrichten aufeinander ein und ich glaube wirklich, dass er meine Haltung nun versteht, sie nachvollziehen kann. Und auch ich sehe, in seine Welt, die offenbar irgendwelchen Halt braucht und diesen am (aus meiner Sicht) falschen Ort findet. Ob er von nun an auf besagten Begriff oder die Süssspeise verzichtet, weiss ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass ich in ihm etwas losgetreten habe. Wir beschäftigten uns damit, was ein Kulturgut überhaupt ist. Fragten uns, wo die Grenzen des Zumutbaren für BIPOC liegen und wann Rücksicht geboten ist. Dieser Austausch wurde, du ahnst es, von Bildern und Videos begleitet, die uns vermutlich bis vor nicht allzu langer Zeit beide ins Gefängnis gebracht hätten. Bruno Basic und ich erhielten wertvolle Einblicke in die Weltanschauung und den Anus des jeweils anderen. Unsere Sexting-Chemie überstand unsere politischen Differenzen bis heute.
Wie meine Erfahrung zeigt, sollten Politiker:innen vielleicht die Art ihres Wahlkampfs überdenken. Argumente sind zentral, Überzeugung unverzichtbar: Aber vielleicht mangelt es an einem gezielten Einsatz von Genitalien? Sexting ist kostengünstig, sorgt für ungeteilte Aufmerksamkeit und jede:r kann mitmachen. Eigentlich ein wortwörtlich feuchter Traum jeder:s Kampagnenverantwortlichen.
Und ja: Meine kleine Anekdote kann man auch falsch verstehen: Liest du darin nämlich eine Legitimation, ungefragten Mansplaining-Nachrichten noch ein ebenso ungefragtes Dickpic beizufügen, bist du auf dem Holzweg. Consent is key.
English Translation: Our Genitals: The Key to a Cultivated Political Exchange
(Translation: Kris Pranjes and Finlay Murray)
During the corona pandemic, our author increased the number of their sexting partners significantly. Between all the dick pics and moaning videos, an unexpected discussion about racism and tradition unfolded. The stamina was amazing, the climax highly anticipated.
Dates start off well. You discover common ground in favourite film directors, shared passions for growing your own spices or mutual confusion over a new illicit drug you’ve both never heard of. But when politics come into play, things can go south very quickly, and not in a good way. With condescending remarks about welfare recipients or even outright racism, several dates have managed to instantly extinguish my fire for them.
If it’s just about sex, can you turn a blind eye to morality? Not wanting to expose myself to the risk of Covid in the last year, I focussed on finding sexual gratification online. Casual sex with strangers became casual cybersex with strangers. With a few of them, somewhat of a friendship even developed. We started wishing each other a happy birthday and even inquire about the most prominent relationship problems. Not limiting the exchange to just dick pics, steamy voice messages, and explicit instructions humanised it in a way - that rarely occurs on real sex dates at 4 AM on a Sunday morning.
The risks are high when you stray beyond everyday small talk: Swiss media revisited the debate about the naming of the chocolate kiss. An Aargau confectionery manufacturer publicly refused to abandon an outdated and racist name for their teacake. Tradition and custom were their defence.
One of my favourite sexting buddies – let’s call him Bruno Basic – proudly sent a picture of a 50-pack of chocolate kisses without comment. Jokingly, I then answered that fortunately, it wasn’t the questionable brand from Aargau. In hopes of receiving a high-res pic of his erection balancing a chocolate kiss, I hit send.
Of course, it all went downhill from there. He not only turned out to be a huge fan of the brand and failed to understand why the questionable name should be abandoned. He was even prepared to personally drive to the manufacturers’ headquarters to buy even larger quantities of the teacake.
I decided to fight for Bruno Basic
In a flash, he went from online fantasy to someone who reminded me of conversations with my xenophobic relatives over Sunday tea – an ambience that has never resulted in a rock-hard erection. I was worried. Just the prospect of Bruno Basic and me never satisfying each other sexually again really soured my mood. I thought the days where I would throw all my principles out the window just for sex were behind me. Knowing that good cybersex is hard to find, I decided to fight.
So, I sent Bruno Basic an articulate message inquiring about the reasons for his stance, asking if he would want to buy a chocolate eclair called "faggot", attaching a photo of my, let's say, 45 per cent semi-erection to this message. Whether he usually responds to arguments that contradict his own opinions, I don't know. Still, I suspect that the prospect of seeing my cock from different angles roused him to reply.
Enraged (and aroused), I shot back
Bruno Basic replied that the racist term was outdated. Therefore, BIPOC (of course, he didn't call them that) of today wouldn't understand it anyway, he justified to himself and allegedly, the word is part of Swiss cultural heritage. His attitude incensed me. But lo and behold, what followed was a pic of his cock in its almost unsurpassed glory.
His member defused the message, which I would not have responded to under normal circumstances. Enraged (and aroused), I shot back. Regardless of whether it is still in everyday use, the word in question was racist and had nothing to do with chocolate treats. If his understanding of cultural assets also includes the use of racist terminology, that was a damning indictment, I interjected, backed up with a video of me fondling my balls.
Whether conservative or liberal, political orientations can rarely be changed. People may listen to each other, but firm convictions easily withstand good arguments. Nevertheless, could my sexting buddy and I have found a way to bridge political camps by using our genitals?
In the messages that followed, we listened and responded to each other carefully, and I truly believe that he now understands my view and can relate to it. Whether he will renounce the term and the brand from now on, I don't know. But I am sure that I have set something off inside him. We discussed what a cultural asset actually is. We asked ourselves where the limits of what is reasonable for BIPOC are and when consideration is required. This exchange was accompanied by, you guessed it, pictures and videos that probably would have landed us both in jail until not so long ago. Bruno Basic and I gained valuable insights into each other's worldviews and anuses. Our sexting chemistry survived our political differences until today.
Perhaps politicians could learn something here and rethink the way they campaign. Arguments are central, conviction indispensable: but maybe there is a lack of targeted use of genitalia? Sexting is cost-effective, attracts undivided attention, and anyone can join in. It’s every campaigner’s wet dream!
And yes: my little anecdote can also be misunderstood if taken too seriously: If you took it as legitimising unsolicited mansplaining messages with an equally unsolicited dick pic, you're barking up the wrong tree. Consent is key.
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